Freitag,18.01.2019
Die Deutschen gelten als Weltmeister der Wiederverwertung. Tatsächlich tragen wir eine erhebliche Mitschuld daran, dass die Welt am Plastikmüll erstickt - weil viel weniger Plastik recycelt wird, als wir denken.
Kaum ein Volk trennt seinen Müll so emsig wie die Deutschen. Geht es um das Sammeln und Erfassen von Haushaltsabfällen, belegt Deutschland in fast jeder Statistik Spitzenplätze.
Von wegen Vorreiter: Deutschlands Recycling-System ist Müll
Das Mülltrennen hat uns der einstige Umweltminister Klaus Töpfer nach der Wende beigebracht. Das Verpackungsgesetz zwingt Unternehmen, ihre Verpackungen mithilfe des Dualen Systems über die gelben Tonnen wieder einzusammeln.
Hennig Wilts hält das deutsche Recyclingsystem dennoch für gescheitert. Wilts ist Abfallexperte am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie und dort für den Bereich Kreislaufwirtschaft zuständig. Das Versagen zeige sich nirgendwo klarer als beim Plastik. In der ersten Stufe des langen Recyclingprozesses, dem Sammeln, seien die Deutschen noch sehr gut, sagt Wilts. "Danach tun sich Abgründe auf." Das berichtet der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe.
Die Bundesregierung geht aktuell davon aus, dass die Quote recycelten Plastiks bei 39 Prozent liegt. Das hält Wilts für eine "Fiktion". Bereits vor einigen Monaten kritisierten die Grünen die Berechnungsgrundlage und sprachen von "Schummelquoten". Rechne man nicht verwertbare Verbundmaterialien und Exporte heraus, käme man auf gerade mal 17,3 Prozent.
Ein weltweites Müll-Trackingsystem könnte helfen
Laut Wilts scheint auch diese Zahl noch zu hoch gegriffen. Der Experte macht eine andere Rechnung auf: Von den gut 14 Millionen Tonnen neuen Kunststoffs, die 2017 in Deutschland verarbeitet wurden, flossen am Ende nur 0,8 Millionen Tonnen tatsächlich wieder in den Kreislauf zurück. Der große Rest wurde in Kraftwerken verbrannt, exportiert, oder wanderte als Ersatzbrennstoff in die Zementindustrie. Und im ersten Halbjahr 2018 exportierten die Deutschen allein 84.000 Tonnen Kunststoffreste nach Malaysia.
Setzt man die Ausgangsmenge von gut 14 Millionen Tonnen ins Verhältnis zu den 800.000 Tonnen Gebrauchtmaterial, die wieder in die Plastikproduktion fließen, kommt man auf eine harte Recyclingquote von nur 5,6 Prozent.
Als Konsequenz fordert Wilts, den Einsatz von recyceltem Material bei der Plastikherstellung zu "erzwingen". Entweder durch steuerliche Begünstigungen für Unternehmen oder gesetzlich festgelegte Mindestquoten für den Einsatz von vorher recycelten Stoffen in neuen Produkten. Gleichzeitig müsse die Subventionierung der Plastikherstellung beendet werden: Absurderweise ist Rohöl steuerfrei, wenn es zu Plastik verarbeitet wird.
Unternehmen müssten zudem für die Verschmutzung der Umwelt verantwortlich gemacht werden können. "Für eine leere Flasche am Strand von Myanmar muss ich denen eine Rechnung schicken können", sagt Wilts. Eine Hersteller-Zuordnung sei technisch bereits möglich. Dafür werden etwa Fluoreszenzcodes genutzt, die im Plastikmaterial integriert sind und von Scannern ausgelesen werden können.
Dieses Thema stammt aus dem neuen SPIEGEL-Magazin
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